von: Urs Heinz Aerni
20. Juli 2016
© "Platzspitzbaby" ist nicht nur ein Bestseller, sondern löst Diskussionen aus über die sozialen Verhältnisse in unserer Gesellschaft
Herr Klein, in Deutschland leben Zehntausende von Kindern in Familien, in denen mindestens ein Elternteil harte Drogen konsumiert. Manche Experten der Suchtarbeit kritisieren, dass viele dieser Kinder immer noch weitgehend ohne Hilfe auskommen müssen. Stimmen Sie dieser Kritik zu?
Michael Klein: Absolut. Leider ist bei der flächendeckenden Einführung der Heroinsubstitution in Deutschland in den Neunzigerjahren versäumt worden, familien- und kinderschutzbezogene Maßnahmen routinemäßig mit zu etablieren. Einzig die Jugendhilfe hat sich seit dem schlimmen, tödlichen Ereignis um den kleinen Jungen Kevin K. in Bremen im Jahre 2006 dem Thema stärker zugewandt und ist seither eindeutig sensibler für die Gefahren und Risiken geworden.
Aus welchen Gründen werden diese Kinder auch von relevanten Fachkreisen mehrheitlich negiert, verharmlost und nicht zur Kenntnis genommen?
Ob betroffene Fachkräfte dies tatsächlich tun, ist nie empirisch überprüft worden, überhaupt fehlt es an Forschung bezüglich der Professionalität von Drogenberatungen in Bezug auf Kinderschutz weitgehend. Was man sagen kann: Das Augenmerk der Drogentherapie galt von Anfang an den sogenannten Indexpatienten, den Drogensüchtigen. Diese waren stets die besonders »Auffälligen«, die entweder aus Gründen der sozialen Kontrolle oder der Verhinderung von Selbstgefährdung zu disziplinieren beziehungsweise zu schützen und behüten waren. Dass für die Drogenabhängigen Hilfen zur Verfügung gestellt wurden, hatte zunächst mehr mit sozialer Kontrolle als mit einer umfassenden humanistisch motivierten Hilfemotivation zu tun. Die Kinder der Drogenabhängigen standen sehr lange auch nicht ansatzweise im Fokus des Hilfesystems.
Wurde die Tatsache, dass Drogenabhängige Kinder bekommen, ausgeblendet?
Häufig wurde davon ausgegangen, dass Drogenabhängige keine Kinder bekommen und wenn doch, die Kinder vom Jugendamt »herausgeholt« und fremdplatziert werden. Es fehlt – in weiten Teilen bis heute – eine Sensibilität für die Bedürfnisse und Entwicklungsrisiken der betroffenen Kinder.
Sie forschen seit Jahren in diesem Bereich: Ist das Interesse an Ihrer Arbeit in der Zwischenzeit größer geworden?
Ich habe meine Forschungsarbeiten im Jahre 1983 begonnen. Viele Jahre lang stieß die Beschäftigung mit dem Thema »Kinder von Suchtkranken« auf Desinteresse oder gar Ablehnung. Seit etwa zehn Jahren nimmt das Interesse an dem Thema jedoch erkennbar zu.
Das bestehende Hilfeangebot fokussiert heute auf Babys und Kleinkinder von Süchtigen, die älteren Kinder bleiben sich selbst überlassen: Aus welchen Gründen?
Die Gründe liegen vor allem darin, dass es zu wenige nachhaltige Kinderschutzdienste gibt und dass es kostenintensiv ist, Kinder von Drogenabhängigen über viele Jahre unterstützend zu begleiten. Daher müssen viele Dienste, obwohl sie gerne anders arbeiten würden, die Betreuungsverhältnisse nach einer gewissen Zeit beenden, obwohl noch deutliche Entwicklungsrisiken bestehen. Lang anhaltende Begleitungen mit hoher Personenkonstanz sind immer noch die Ausnahme, wären aber wünschenswert. Eine Ausnahme bilden professionell unterstützte Pflege- und Adoptionsfamilien.
Was weiß man heute über die Folgeschäden, unter denen betroffene Kinder leiden?
Die Folgeschäden sind vielfältig und liegen im psychischen, sozialen wie auch im körperlichen Bereich. Am wichtigsten erscheinen mir die psychischen Folgen. Diese können von Selbstwertproblemen, Ängsten, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, eigenen Suchtproblemen bis hin zu Suizidhandlungen reichen. Je länger und intensiver die Kinder den negativen Folgeerscheinungen der elterlichen Drogenabhängigkeit ausgesetzt sind, desto mehr steigt das Risiko für die genannten Folgen.
Und welchen tagtäglichen Gefahren sind diese Kinder ausgesetzt?
Durch die Intoxikation mit der Droge und dem später auftretenden Entzug ergeben sich erhebliche Verhaltensänderungen bei den Eltern. Mangelnde elterliche Aufsicht, unberechenbares Verhalten, Kindesvernachlässigung sind nur einige der Folgen, die mit dem Konsum der Substanz zusammenhängen. Dazu kommen die Risiken, die mit den beschaffungsbedingten elterlichen Verhaltensweisen – zum Beispiel Diebstähle oder Prostitution – zusammenhängen. Emotionale Instabilität, Depressivität, Suiziddrohungen sind bei den süchtigen Eltern besonders in den Entzugsphasen zu beobachten. Inwieweit die Fachkräfte in der Praxis diese alltäglichen, in Bezug auf die Kinder als Risikoverhaltensweisen einzuschätzenden, Verhaltensweisen beobachten und bewerten, ist weitgehend unbekannt. In jedem Fall müsste eine Abwägung geschehen, inwieweit das Kindeswohl gefährdet ist. Vonseiten der Drogenhilfe wird hier allzu oft immer noch weggeschaut, möglicherweise um nicht in einen Handlungszwang zu geraten.
Was lernen diese Kinder nicht?
Die Lernerfahrungen der betroffenen Kinder sind durch die Sucht der Eltern sehr selektiv und eingeschränkt. Abgesehen von der »banalen« Tatsache, dass sie durch das elterliche Modell Suchtverhalten als Alltagsverhalten erlernen, drohen vielfältige Risiken, insbesondere in den Bereichen des Umgangs mit Emotionen und im Bereich des Sozialverhaltens. Eine adäquate Auseinandersetzung der Eltern mit negativen Emotionen fehlt meist völlig. Die Erziehungspraktiken erscheinen fast durchweg ungeeignet und sind von Inkonsistenz und psychischer Gewalt geprägt. Das Extreme im Verhalten und Erleben wird zur Normalität des Alltags. Eine Verbesserung stellt sich hier nur ein, wenn die Eltern stabil substituiert und ohne Beikonsum sind, was leider eher die Ausnahme als den Regelfall darstellt.
Hat das Wissen über die negativen Konsequenzen für die betroffenen Kinder konkrete Auswirkungen auf das Hilfsangebot, oder führt man eine theoretische Diskussion?
Leider sind die konkreten Auswirkungen auf das Hilfesystem noch nicht umfassend und weitreichend genug. Sicher ist die Jugendhilfe aufmerksamer und vorsichtiger geworden. Aber es muss sich in der Regelhaftigkeit und Systematik der Hilfen noch vieles entwickeln und einiges hinzukommen.
Warum werden die Kinder tendenziell zu lange in der Obhut der Eltern gelassen?
Diesem Fehlverhalten liegt vermutlich ein Ursachenbündel zugrunde: Unkenntnis, falsche Situationsbeurteilungen, mangelnde Information und Sensibilität, unreflektierte Parteilichkeit für die Eltern, die Überschätzung positiver Aspekte und Ressourcen bis hin zu professionell wirklich bedenkenswerten Haltungen und Zuständen, wozu Ignoranz und eigene ungelöste psychische Probleme der Fachkräfte gehören können.
Greifen die gesetzlichen Maßnahmen, die zum Schutz der Kinder angewendet werden können, zu spät?
Da es keine systematische Datenerfassung zu diesem Thema gibt, ist dies schwer einzuschätzen, auch weil die erfolgreich betreuten Fälle kaum oder gar nicht registriert werden. Es besteht in der Rechtssystematik nach wie vor ein Ungleichgewicht zwischen Elternrechten und Kinderrechten. Das 2012 in Deutschland in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz ist weit hinter dem Wünschenswerten und Notwendigen zurückgeblieben. Es ist eben immer noch einfacher, Kinderrechte nicht zuzulassen, als Elternrechte auch nur theoretisch einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, und der Gesetzgeber hat das Wesen und die Gefahren von Suchterkrankungen für betroffene Kinder im Kern noch immer nicht verstanden. Daher kann er auch keine Gesetze erlassen, die wirksam helfen würden.
Sind die Kriterien im Kinderschutz zu undifferenziert und die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten zu wenig klar definiert?
Auf jeden Fall fehlt es nach wie vor an eindeutig evidenzbasierten – also empirisch belegbaren – Handlungskriterien im Kinderschutz. Da in der Praxis jede Maßnahme eine sorgsam abzuwägende und zu begründende Einzelfallentscheidung darstellt, ist dies sicherlich auch kein leichtes Unterfangen. Ein Restrisiko für Fehlentscheidungen bleibt bestehen. Problematisch ist auf jeden Fall, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit in ihren Studiengängen zu wenig klinisch-psychologisches und kinder- und jugendpsychiatrisches Wissen vermittelt bekommen. Das rächt sich dann später in entsprechenden Praxissituationen, insbesondere bei komplexen Fällen mit elterlichen Suchtdiagnosen und anderen psychischen Störungen. Hinzu kommt in Deutschland, dass die föderale Struktur mit Hunderten von zuständigen Jugendämtern kaum auf nationaler Ebene zu koordinieren und harmonisieren ist.
Haben die Missstände nicht auch damit zu tun, dass sich die meisten Hilfeleistungen weiterhin auf die süchtigen Eltern konzentrieren?
Natürlich sind die Drogenhilfe und auch die Substitutionsmedizin einseitig auf die Drogenabhängigen orientiert, manchmal könnte man sogar denken, fixiert. Letzten Endes wird dies damit begründet, dass man keinen anderen Auftrag hat, was formal leider ja auch richtig ist. Daher werden sich nur solche Fachkräfte anders verhalten, die intrinsisch der Idee des Kinderschutzes und der selektiven Prävention verpflichtet sind. Strukturell bedeutet dies, dass die in diesem Zusammenhang kinderfeindliche Individuumsfixierung in der Sozialgesetzgebung zugunsten von familienbezogenen, generationenübergreifenden Versorgungsmodellen überwunden werden sollte. Konkret ist es also wünschenswert, dass mehr Präventions- und Therapiemöglichkeiten geschaffen werden, die den Eltern und ihren Kindern helfend zu Seite stehen können.
Wieweit ist es zulässig, dass Kinder als »bestes Instrument« angesehen werden, die Eltern von den Drogen wegzubekommen?
Drogenabhängige Eltern haben natürlich Wünsche und Fantasien in Bezug auf ihre Kinder. Die Liebe zu den eigenen Kindern ist aus der Sicht der Betroffenen oft eine starke Motivation, zu versuchen, aus der Drogenabhängigkeit herauszukommen. Dies ist aus Sicht der Eltern legitim. Wenn das Kind jedoch in seiner gesunden Entwicklung eingeschränkt oder negativ beeinflusst wird, um die Sucht der Eltern »zu heilen«, ist dies nicht akzeptabel.
Kann man – so wie es der Schweizer Suchtexperte Peter Burkhard formuliert – von einer strukturellen Misshandlung sprechen, wenn solche Kinder »bewusst« in desolaten Verhältnissen zurückgelassen werden?
Ob es tatsächlich geschieht, dass Kinder bewusst in desolaten Verhältnissen zurückgelassen werden, müsste im Einzelfall belegt und dann auch juristisch geahndet werden. Es würde auf jeden Fall einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention und gegen das Kinder- und Jugendhilfegesetz darstellen. Klar ist auf jeden Fall, dass Fachkräfte, Betroffene und Politiker sensibler für derartige Zustände und Unterlassungen werden müssen. Auch das vorsätzliche Unterlassen von Hilfe gegen besseres Wissen kann und darf nicht hingenommen werden.
Wie sieht die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich aus, beziehungsweise wie viele Mütter und Väter kommen langfristig tatsächlich von den Drogen weg, wenn sie Kinder haben?
Wir wissen: Drogenabhängige Mütter mit Kindern haben eine bessere Prognose, ihre Drogenabhängigkeit zu überwinden, als solche ohne Kinder. Dennoch schaffen es viele nicht. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass Drogenabhängigkeit in vielen Fällen eine chronische psychische Erkrankung mit hohem Rückfallrisiko darstellt. So etwas verschwindet nicht über Nacht, und es bedarf oft jahrelanger Anstrengungen und Therapien, um einen dauerhaften Erfolg zu erzielen: Ein Zeitraum, der für die mitbetroffenen Kinder oft zu lang ist.
Die meisten drogensüchtigen Mütter und Väter sind in einem Substitutionsprogramm und gelten somit als »suchtfrei« und daher fähig, die Kinder zu betreuen: Ist das ein Fehler?
Das Ausmaß des sogenannten Beikonsums anderer Substanzen innerhalb der Substitution wird oft unterschätzt oder gar nicht realisiert. In Deutschland liegen allerdings auch neuere Studien zu den Langzeitergebnissen der Heroinsubstitution vor. Sie zeigen, dass neben gesundheitlicher und sozialer Stabilisierung der Drogenabhängigen durch die Heroinsubstitution die psychischen Probleme langfristig nicht entscheidend verbessert werden. Dies bedeutet, dass eine drogenabhängige, substituierte Mutter, die zu Beginn ihrer Drogenabhängigkeit unter Depression gelitten hat, auch nach vielen Jahren Substitution mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch darunter leidet. Zudem: Auch wenn die verschiedenen Substitute bei sachgemäßem Gebrauch keine Rauschzustände erzeugen wie Heroin, handelt es sich bei allen Substanzen um Opioide, die bei Unterdosierung oder plötzlichem Absetzen Entzugserscheinungen auslösen. Außerdem ist zu beachten, dass bislang nur eine Substitution für die Droge Heroin möglich ist. Dies bedeutet, dass die Abhängigkeit von anderen Drogen, wie Kokain, Amphetaminen oder Cannabis, bislang nicht substituierbar ist.
Müssen die Kontrollen in den Methadonprogrammen verschärft werden?
Es ist empfehlenswert, dass in Substitutionsprogrammen Elternschaft und Kinderschutz routinemäßig thematisiert werden. Dies allein schon aufgrund der Tatsache, dass Rückfälle und Beikonsum stattfinden und die psychische Gesundheit der Betroffenen oft eingeschränkt und belastet ist. Jugendamt, Suchthilfe und medizinische Dienste sollten koordinierte Hilfen anbieten, um die Elternkompetenzen zu stärken und die psychische Entwicklung der Kinder zu fördern. Auch das staatliche Wächteramt hinsichtlich des Kindeswohls in den betroffenen Familien – häufig alleinerziehende Mütter mit Vorschulkindern – sollte intensiv und dauerhaft wahrgenommen werden, da das Risiko für Gefährdungslagen eindeutig höher ist als in anderen Familien.
Werden die Kontrollen in Deutschland durch das Jugendamt im Vorfeld angekündigt?
Das hängt von der Beziehung zu den betreuten Eltern und der Frage nach einer akuten Gefährdungslage ab. Auf jeden Fall sollte das Jugendamt zunächst Hilfe und Unterstützung anbieten. Bei mangelnder Kooperation aufgrund von Rückfälligkeit oder Beikonsum ist jedoch eine Gefährdung des Kindeswohls kontinuierlich und kritisch zu prüfen. Hierzu gehören auch unangekündigte Hausbesuche.
Gibt es im Bereich des Kinderschutzes neue Forderungen, und wie ließen sich diese umsetzen?
Wurden in früheren Jahren vor allem Ziele um das körperliche Wohlergehen thematisiert, geht es heute stärker um Themen wie sichere Bindung, liebevolle, förderliche Erziehung, Gewaltfreiheit und psychische Gesundheit der Kinder insgesamt. Für die Kinder drogenabhängiger Eltern heißt dies, dass darauf geachtet werden muss, ob das Kind sich psychisch gesund entwickeln kann. Dazu gehört eine verlässliche, stabile Familienumwelt, die Sicherheit, Wärme und Hoffnung auf die Zukunft gibt.
Sind das realistische Vorgaben?
Es ist offensichtlich, dass im Kontext von Drogenabhängigkeit diese Qualitäten meist nicht gegeben sind, die meisten Eltern sie auch selbst nicht erlebt haben und nur schon daher nicht weitergeben können. Insofern müssen aus der Perspektive der psychischen Gesundheit und der Prävention die Erziehung und Begleitung dieser Kinder und auch die gesellschaftliche Mitverantwortung für sie neu konzeptioniert werden. Es handelt sich um eine Verantwortungsgemeinschaft aller Akteure aus Jugendhilfe, Medizin, Suchthilfe, Politik und vielen anderen Bereichen. Dieser Verantwortung kann die Gesellschaft nicht entfliehen.
In der Zwischenzeit gibt es Zwei-Generationen-Modelle, Therapien also, die Eltern und Kinder miteinbeziehen. In der Schweiz beschränkt sich dieses Angebot hauptsächlich auf Babys und Kleinkinder, die größeren Kinder fallen weiterhin durch das Raster. Sieht die Situation in Deutschland anders aus?
Nein, leider nicht. Insbesondere für Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren bestehen viel zu wenige Hilfe- und Betreuungsangebote. Ich habe selbst ab 1983 als einer der Ersten in Deutschland Eltern-Kind-Angebote in verschiedenen Entwöhnungskliniken entwickelt und aufgebaut. Diese zielten auf Kinder und Jugendliche aller Altersstufen ab. Die Finanzierung dieser Angebote in der klinischen Realität ist heute aber nach wie vor genauso schwierig wie damals. Dass die Therapie der Eltern mit frühen präventiven und therapeutischen Hilfen für die Kinder einhergehen muss, ist dem – in der Gesundheitsversorgung streng individuumsfixierten – Gesetzgeber nach wie vor unbekannt.
Hilfe gibt es erst, wenn die betroffenen Kinder und Jugendlichen krank sind?
So ist es, hier sprechen wir von einem spätinterventiven Versorgungssystem. Diese verzögerte Reaktion sehen wir aber nicht nur, wenn es um suchterkrankte Eltern und deren Kinder geht, sondern auch dann, wenn Eltern mit schweren psychischen Störungen und ihre Kinder betroffen sind.
Welche Veränderungen sind im Bereich Kinderschutz nötig, damit es den »vergessenen Kindern« in Zukunft besser geht?
Die notwendigen Veränderungen sind zahlreich: Sie reichen von weiterer intensiver Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung über Sensibilisierung und Qualifizierung der Fachkräfte bis hin zur Schaffung stabiler Rechtsgrundlagen für selektive und indikative Prävention, besonders im Bereich der psychischen Gesundheit. Die umfassende und nachhaltige Stärkung der Entwicklungsgrundlagen für die psychische Gesundheit, speziell für Kinder in psychisch belasteten Familien und mit psychisch kranken Elternteilen, muss zur wichtigsten Aufgabe im Kinderschutz werden.
Bei den Mindeststandards zur Betreuung und Erziehung betroffener Kinder sind sich die Fachleute in der Schweiz uneinig darüber, was ein Kind verkraften kann. Haben Sie eine Antwort?
Kinder zeigen in ihrer Entwicklung nach schweren Lebensereignissen, Traumata oder Krisen oft eine erstaunliche Entwicklungsplastizität, das heißt, sie können offenbar viele Tiefschläge überwinden. Aber dies gilt nur für die besonders resilienten Kinder, also für jene mit der besten psychischen Widerstandsfähigkeit. Diese Resilienz kann man keinesfalls bei allen Kindern voraussetzen. In vielen Fällen werden die Chancen auf Resilienzförderung vergeben, beziehungsweise verspielt, weil keine geeignete Frühintervention stattfindet. Es ist aus ethischen Überlegungen daher wichtig, die Hilfestandards immer beim schwächsten Kind anzusetzen, damit die vorhandenen Hilfen auch für diese Kinder ausreichen, eine geeignete Entwicklung sicherzustellen. Dieser Gedanke, der derzeit unter dem Konzept der Inklusion diskutiert wird, legt nahe, dass kein Kind aufgrund von Behinderungen, Benachteiligungen oder kritischen Lebensereignissen verloren gehen darf. Die Mindeststandards für Hilfen müssen daher die Maximalstandards für das schwächste Kind sein. Ein ebenso wichtiges wie großes Ziel für die Humanität einer Gesellschaft!
Prof. Dr. Michael Klein, Klinischer Psychologe, psychologischer Psychotherapeut und Supervisor; mehr als 15 Jahre als Leitender Psychologe in Fachkliniken für Suchtkranke (Alkohol- und Drogenabhängige) und Psychosomatischen Kliniken tätig. Seit 1994 Professor für Klinische Psychologie und Suchtforschung mit den Schwerpunkten Mental-Health-Forschung, Familie und psychische Störungen sowie Präventionsforschung an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abtlg. Köln. Leiter des dortigen Deutschen Instituts für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) und des Master-Studiengangs Suchthilfe/Suchttherapie (Studienstandorte: Köln, München, Berlin). Mitherausgeber der Zeitschriften SUCHTTHERAPIE (Thieme) und Prävention.
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