von: Simone Klein
29. Oktober 2017
© Hanser Verlag
Als sie die Truppen von Friedrich Hecker im Frühjahr 1848 in Kandern unterstützte, ritt sie im Herrensattel. Ihre Hosen, die den Schwarzwälder Frauen nachhaltig imponierten, hatte sie in Paris anfertigen lassen. Das Herz wurde von ihrem Ehemann gebrochen, als er sie mit der Frau seines Freundes Alexander betrog. Ihren Versuch, beide Ehen durch einen Rollentausch zu retten, quittierte der Gehörnte mit Hohn und Spott. Trotzdem ließ sie sich nicht beugen und überlebte ihren Mann, der in der Öffentlichkeit deutlich mehr Beachtung fand, um fast dreißig Jahre. Die letzte gemeinsame Zeit verbrachte das Paar in Baden-Baden.
„Die Freiheit der Emma Herwegh“ beschreibt das Leben der Freiheitskämpferin in Form eines Romans, der genau in dem Jahr erscheint, in dem beide Herweghs 200 Jahre alt geworden wären. Wiedergegeben wird Emmas Perspektive, allerdings aus Sicht eines männlichen Autors, Dirk Kurbjuweit, stellvertretender Chefredakteur des Spiegel. In seinem Buch wirft er jene Fragen auf, die Emma Herwegh in der heutigen Zeit von Journalisten gestellt würden.
Als Ehefrau, die ihrem Mann im Frühjahr 1848 bei den Heckerzügen das Leben rettete, wirkt sie grundsätzlich mutig. Auch im Privatleben behält sie ihre Entschlossenheit bei und kämpft hartnäckig um die Beziehung zum Ehemann. Sie duldet sein Verhältnis zur gemeinsamen Freundin Natalie, mit der sie sogar über längere Zeit unter einem Dach wohnt. Dennoch behält sie die Zügel in der Hand und achtet darauf, die intimen Momente des Liebespaares zu unterbinden.
In der Zeichnung seiner Hauptfigur vermittelt der Autor einen Eindruck von emotionaler Passivität, die Fragen aufwirft. Er präsentiert Emma Herwegh als Mutter, die ihr krankes Kind in frühestem Alter in die Obhut ihrer Herkunftsfamilie gibt, und als Ehefrau, die sämtliche Seitensprünge des Gatten duldsam erträgt. Auch der Verzicht auf materielle Privilegien, die sie in Kindheit und Jugend genießen durfte, appelliert an die Nachdenklichkeit des Lesers. Während die Rollen zu Beginn der Lektüre klar verteilt erscheinen, relativiert Kurbjuweit durch eine geschickte Figurenentwicklung die Kräfteverhältnisse innerhalb der Herwegh-Ehe. Der schillernde Mythos beider Figuren weicht dabei den alltäglichen Sorgen eines Paares, das sich nach außen mit der Arbeiterklasse verbindet, das eigene Leben jedoch auf Kosten der Bourgeoisie bestreitet. Auch gewährt er einen neuen Blick auf die verschiedenen politischen Strömungen der Revolution von 1848, der Geschichte lebendig werden lässt. Kurbjuweits neuer Roman überrascht, inspiriert und fasziniert bis zur letzten Seite. Man fragt sich am Ende, wie eine Emma Herwegh heute durch Baden-Baden wandeln würde.
Das Buch: Dirk: Die Freiheit der Emma Herwegh. München: Carl Hanser Verlag, 2017.