von: Urs Heinz Aerni
3. August 2018
© Pressebild - Matthias Baltisberger
Urs Heinz Aerni: Herr Baltisberger, Ihre Kritik an der Neuerscheinung des Buches „Grundlagen der Feldbotanik“ von Rita Lüder fällt deftig negativ aus. Was regt Sie denn am meisten auf?
Matthias Baltisberger: Ich möchte vorausschicken, dass das Buch sehr schön gestaltet ist, auf gutes Papier gedruckt und fest gebunden wurde, es hat stabile Buchdeckel und enthält viele, meist sehr gute Fotos und Abbildungen.
Aerni: Und nun das Aber…
Baltisberger: Erst als ich den Text genauer und aufmerksam las, merkte ich, dass das Buch außerordentlich viele fachliche Fehler enthält und Formulierungen oft ungenau oder sogar irreführend sind. Es wird angepriesen als Lehr- und Lernmittel für die Zertifikate in Feldbotanik. Diese Zertifikate haben in der Schweiz nicht nur einen großen Stellenwert zum Nachweis botanischer Kenntnisse, sie sind auch auf einem sehr hohen Niveau, vergleichbar mit dem wissenschaftlichen Level an den Universitäten. Diesem Anspruch wird das Buch überhaupt nicht gerecht.
Aerni: Nun, man könnte ein Buch negativ bewerten und es dann vergessen, Sie gehen aber doch mit einer Vehemenz vor. Warum ist aus Ihrer Sicht so wichtig, dass gerade bei diesem Werk mehr passiert?
Baltisberger: Zertifikate zur Feldbotanik gibt es in der Schweiz seit 2010, ich war eines der Gründungsmitglieder und habe bis 2017 jedes Jahr Prüfungen abgenommen. Die Zertifikate sind kursunabhängige, standardisierte Tests, die einen für die Schweiz gemeinsamen Referenzrahmen darstellen. Sie sind in der Schweiz eine wichtige Möglichkeit zum Nachweis solider Kenntnisse in Feldbotanik. Außerdem sind sie inzwischen bei einer Stellenbewerbung ein wichtiger Teil der Bewerbungsunterlagen, die Prüfungen zu den Zertifikaten sind deshalb auch sehr gut besucht. Leute, die sich auf die strengen Zertifikatsprüfungen vorbereiten, müssen sich auf die Lernmaterialien verlassen können. Es ist unerlässlich, dass Lehrbücher und auch andere Lernhilfen keine oder möglichst keine Fehler enthalten.
Aerni: Auf Rückfrage beim Verlag heißt es: „Dass eine erste Auflage eines solchen Werkes mit dieser Informationsdichte fehlerfrei sein würde, haben wir nicht erwartet.“ Warum also dies Hartnäckigkeit in Sachen Kritik?
Baltisberger: Diese Aussage ist vollkommen korrekt, kein Buch kommt fehlerfrei auf den Markt, auch kein Lehrbuch.
Aerni: Eben.
Baltisberger: Es ist nicht die Informationsdichte, die an diesem Buch auffallend ist, sondern es ist die Fehlerdichte, die dieses Buch nach meiner Meinung für den vorgesehenen Zweck unbrauchbar macht. Es ist kein Makel eines neuen Buches, wenn darin einzelne Fehler auftreten und diese mit einem Korrigendum den Käufern mitgeteilt werden. Kaum Seiten ohne Fehler oder missverständliche oder ungenaue Formulierungen sprengen den Rahmen von jedem Korrigendum – und ganz besonders bei einem Lehrbuch.
Aerni: Was raten Sie also Buchhändlerinnen und Botanikern, die sich auf dieses Buch freuen?
Baltisberger: Schaut euch das Buch an und freut euch daran, denn es sieht toll aus – aber verkauft resp. kauft es nicht, denn es ist voller Fehler und entspricht den Ansprüchen der schweizerischen Zertifikate nicht. Ich kenne den Haupt Verlag als kompetenten Herausgeber von wissenschaftlich korrekten, naturwissenschaftlichen und schönen Büchern; für mich ist es absolut unverständlich, dass bei diesem Buch nur das „schön“ erfüllt ist.
Aerni: Bestehen eigentlich in diesem Studienbereich Nachwuchsprobleme?
Baltisberger: Da muss ich zwei Bereiche unterscheiden. Im akademischen Bereich, also an Universitäten und der ETH, werden Fachrichtungen in allen Organismengruppen, die Spezialisten in Artenkenntnis ausbilden, kaum gefördert oder reduziert, wenn nicht sogar abgeschafft; da besteht ein sehr großes Nachwuchsproblem. Im außerakademischen Bereich gibt es erfreulicherweise viele Leute, die sich Artenkenntnis zu Vögeln und Pflanzen angeeignet haben oder es sich aneignen wollen. In dieser Spezialdisziplin Artenkenntnis können sie durchaus das Niveau von Profiforschern aus dem akademischen Bereich erreichen, auch wenn die breite Basis des akademischen Wissens oft fehlt. Diese Personen sind z.B. für Bestandesaufnahmen im Rahmen von Naturschutzprojekten bestens geeignet. Damit solche „Amateure“ gut ausgebildet werden, braucht es entsprechende Möglichkeiten der Ausbildung. Solche Möglichkeiten bestehen, z.B. die Feldornithiologiekurse und die Kurse in Feldbotanik bei BirdLife – und zusätzlich zu den Kursen sind auch gute und verlässliche, wissenschaftlich ausgerichtete Lernmaterialien erforderlich. Das neue Buch „Grundlagen der Feldbotanik“ erfüllt genau diesen Anspruch leider in keinster Weise.
Aerni: Welche Eigenschaften wünschen Sie den jungen Leuten, die sich wissenschaftlich der Botanik widmen?
Baltisberger: Ich kenne wirklich viele und auch junge Leute, die mit enorm viel Begeisterung und sehr viel Freude am Fachwissen auf möglichst viele Exkursionen gehen. Sie sind also sehr oft und sehr gerne draußen, freuen sich an der Schönheit der Organismen und sind bereit, zu lernen und sich mit den Organismen zu beschäftigen. Und wenn sie dann auch noch gerne ihr oft sehr umfangreiches Wissen weitergeben, sind das beste Voraussetzungen für solide und vertiefte Kenntnisse in Botanik auf hohem professionellem Niveau.
Info:
Matthias Baltisberger studierte Biologie mit Schwerpunkt Systematik und Ökologie und war Professor an der ETH Zürich. Er widmete sich in der Forschung den Arten der Gattungen Achillea, Draba, Ranunculus und Stachys in den Alpen, Balkanhalbinsel und Mittelmeergebiet. Agrarwissenschaft, Biologie, Forstwissenschaften, Pharmazie und Umweltwissenschaften waren die Bereiche im Unterricht. Er war Gründungsmitglied Zertifizierung Feldbotanik und bis 2016 in der Kommission zur Zertifizierung von Feldbotanik. Zudem ist er Mitherausgeber von Fachliteratur wie „Systematische Botanik“ im Hochschulverlag vdf.
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Hier lesen Sie die oben erwähnte Kritik zum Buch…