von: Monika Lustig, Bad Herrenalb
25. September 2020

Buchtipp: „Der kunstfertige Fälscher“

Ursprünglich als Beitrag für ein "Requiem auf den Tod der Lira" gedacht: die wahrlich außergewöhnliche Lebens- und auch Liebesgeschichte des Paolo Ciulla (1867 Caltagirone, Heute UNESCO Weltkulturerbe), der nicht um sich zu bereichern, sondern um endlich Anerkennung als Künstler zu bekommen, die schönsten 500-Lire-Scheine fälschte, perfekter und schöner als das Original; anonym an Bedürftige verteilt. Zugleich beleuchtet das Buch Ciullas leidenschaftliches Engagement in politisch und sozial aufgeheizten Zeiten, fasci siciliani, himmelschreiende Ungerechtigkeit, Großgrundbesitz, korrupte Politiker: größter Bankbetrug aller Zeiten: Banco di Roma, 1880er Jahre, involviert: Ministerpräsident, König, Abgeordnete et al. Eine Folie, die sich sehr gut auf heutige Gelddruckzeiten legen lässt. bewegte, dramatische Lehrjahre als Künstler, Mensch, Emigrant, Verrückt erklärter in Paris und Argentinien. Gestorben 1931 im Armenhaus in Caltagirone.

© Edition Converso

Die Geschichte des größten italienischen Geldfälschers, Paolo Ciulla aus Caltagirone, auf dem Hintergrund eines Siziliens Ende des 19. Jh. der aufständischen Massen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, die den rebellischen Künstler auch ins Paris von Picasso, Modigliani, Matisse führt, und weiter nach Südamerika; zurück in Catania, Schönheit und Gerechtigkeit als Leitstern seines Lebens, lässt er eine Flut gefälschter Geldscheine, schöner als das Original, auf die richtigen Leute niedergehen. Scheut Irrenanstalt und Armenhaus nicht, um sich und seiner Kunst treu zu bleiben. Wirkungsvoll das System zu untergraben.

„Die Welt ist eine des Betrugs, der Fälscher hält ihr nur den Spiegel vor“

Attanasio reiht sich hier mit poetischer, weiblicher Stimme sein in die sizilianische Schule eines Leonardo Sciascia, Andrea Camilleri, nach der die besten Historiker die Geschichtenerzähler sind.

Am Anfang (2003) stand die Aufforderung, eine Art „Requiem“ auf den Tod der Lira zu schreiben.Da ich nicht wusste, was schreiben, machte ich mir eine ganze Weile Gedanken, wie eine passende Absage formulieren, als mit einem Mal allerlei Erinnerungen an aufgeschnappte Sätze aus Kindertagen in mir zu rumoren begannen, zusammen mit der vertrauten Beschwörung des legendären Paolo Ciulla, Chiddu ri sordi farsi, »der da mit dem Falschgeld«:

Metapher für die wundersame Erlösung aus wirtschaftlichen Notlagen – die in den Jahren des Wiederaufbaus zahlreich und schwerwiegend waren –, doch zuweilen auch Maßstab für einen rundum perfekten Betrug, eine makellose Täuschung.“

„ Ein segensreicher Regen anonymer 500-Lire-Scheine drang zwischen 1920-22 in die Behausungen vieler bedürftiger Familien in Catania und Umgebung ein; sehr viele mehr legten sich auf die Sitze von Straßenbahnen, Pferdekutschen, Zügen und Dampfschiffen auf ihrer Fahrt in die neue und die alte Welt. Niemand argwöhnte je, dass es sich dabei um Falschgeld handelte“.

In der Tat bekundeten die Fachleute späterhin, auch beim Prozess gegen Paolo Ciulla vor dem Hohen Gericht in Catania, dass es sich bei jedem einzelnen Geldschein um ein wahres Meisterwerk handelte, viel schöner als jene, die aus der Notenpresse stammten und die er fast gänzlich erblindet schuf.

Die Schönheit als oberste Vermittlerin von Wahrheit, aber auch die zur Zerrissenheit führende der Männer, kennzeichnet in lebhaften Farben das Leben von Paolo Ciulla – diesem unbequemen Helden, der wirksam das System untergräbt, nun endlich aus der Geschichtsvergessenheit geholt wird.

Die Schönheit einer wohltätigen und aufrührerischen Geste à la Robin Hood aus der Ära der Banken (erläutert auch der große Bankenskandal der Banca Romana, 1890er Jahre), mit der der Mann mit den goldenen Händen der geordneten und perfiden Welt einen gelungenen Streich spielt.

Welches Geheimnis verbirgt sich hinter diesem hochtalentierten Maler, stets auf der Suche nach neuen künstlerischen und existenziellen Herausforderungen? Maria Attanasio hat dazu in Bibliotheken und Gerichtsarchiven in Catania und Caltagirone – ihr und Paolo Ciullas Geburtsort – gestöbert und seine Lebensgeschichte aufgezeichnet, die dokumentarischen Leerstellen mit poetischer Wucht gefüllt, wie nur die Wahrhaftigkeit der Literatur eine Figur lebendig zu machen versteht. Sohn eines geschäftstüchtigen Ledermachers und einer dem schönen Kunsthandwerk verschriebenen Mutter, wird Paolo zu einem rebellischen Burschen, der sich über alle Standesregeln hinwegsetzt, Kunst studiert (von der Stadt gefördert), bald aber seine eigentliche Vokation, die Politik entdeckt: Fasci siciliani, der sozialistischen Arbeiter- und Bauernbewegung in Sizilien, ihr redegewandter Anführer, Pionier der Fotografie, Vorreiter der Avantgarde, Montmartre mit Picasso, Modigliani et al., Buenos Aires. Der alles hinwirft, sobald sich strahlender Ruhm und Anerkennung am Horizont abzeichnet, um einer flüchtigen Begeisterung, eines Akts der Liebe willen. Auf der Flucht – letztlich vor sich selbst, lebt er generös seine Homosexualität aus und sucht sie zugleich zu verbergen.

Aus reinem Herzen in Opposition gegen die Welt, verlangt er Genugtuung. Unzeitgemäßer geht’s kaum. Eine Handlungsanweisung.

Das Buch: „Der kunstfertige Fälscher – Ausführliche Notizen über den kuriosen Fall des Paolo Ciulla aus Caltagirone“ von Maria Attanasio.

Historisch-zeitgenössischer Roman
ausgezeichnet mit dem Superpremio Elio Vittorini, 2007
aus dem sizilianischen Italienisch von Michaela Wunderle und Judith Krieg
mit ausführlichem Glossar
und einer Note von Günter Wallraff

OT: Il falsario di Caltagirone – Notizie e ragguagli sul curioso caso di Paolo Ciulla,
Sellerio editore Palermo, 2007
ET: September 2020
Seitenzahl: ca. 190 Seiten
Ausstattung: französische Broschur
ISBN: 978-3-9819763-7-3
Preis: 18,- € [D], 18,60 € [A]

 

Edition Converso