von: Urs Heinz Aerni
22. Februar 2023

„Der Homo Sapiens hat mit seinen schwarzen Begleitern, eine ganze Menge gemeinsam“

Oder wenn die Krähe merkt, wenn sie gefilmt wird. Martin Schilt bringt uns mit einem bildstarken Film Vögel näher, die uns sehr vertraut sind, vermeintlich. Und erklärt im Interview, was sie so faszinierend machen, die Rabenvögel

© Martin Schilt beim Dreh - pd

 

Urs Heinz Aerni: Seit je her beschäftigen die Krähen oder die Raben die Menschen und fanden Eingang in Sagen, Märchen, Mythologien und Literatur. Jetzt produzierten Sie, Martin Schilt, einen abendfüllenden Film dazu. Die naheliegende Frage zuerst: Was war die Initialzündung dazu?

Martin Schilt: «Mach doch einen Film über Krähen!», hat mir mein damals 9-jähriger Sohn nach einer Filmpremiere von «Die Weisenberger» empfohlen. Das war vor fast zehn Jahren. Ganz ohne ornithologisches Vorwissen habe ich mich bereits im Verlauf einer ersten Recherche Hals über Kopf in diese Vögel verliebt.

Aerni: Warum denn?

Schilt: Wahrscheinlich fasziniert mich – wie viele andere Menschen, die Rabenvögel beobachten und studieren-  vorallem das Menschliche an den Rabenvögeln. Und ich erkannte auch schnell das Räbische an mir selbst…

Aerni: Wie meinen Sie das?

Schilt: Als Journalist und Filmemacher beobachten wir die Welt und berichten darüber. Das machen Krähen und Raben auch. Sie sind unsere schwarzen Chronisten.

Aerni: In Ihrem Film gehen Sie mehreren Fragen nach aber dazu später. Ein wichtiger Teil sind die Einblicke in Forschungsprojekte auf der ganzen Welt mit beeindruckenden Aufnahmen. Wie darf man sich die Recherchen dazu vorstellen?

Schilt: Zum Glück bin ich zu Beginn der Recherchen schnell auf die Forschungsarbeiten von John Marzluff gestossen. Er konnte mit seinen Langzeitexperimenten belegen, dass Krähen menschliche Gesichter auseinanderhalten und sich an sie erinnern können. Mehr noch, seine Studien zeigen: Krähen haben die Fähigkeit dieses «Wissen» an ihre Nachkommen und an andere Krähen weiterzugeben. Diese Erkenntnis führte dann zur These des Films: In den Krähen-Revieren gibt es ein kollektives «Wissen» über uns Menschen. Die Natur beobachtet uns.

Aerni: Sie begleiteten auch schon den Film «Die Wiesenberger», aktuell filmen sie Insekten für eine weitere Dokumentation, was macht das Filmen von Krähen besonders?

Schilt: Rabenvögel, gibt es überall. Menschen auch. Wir Menschen haben uns gemeinsam mit Krähen und Raben über alle Kontinente der Erde verbreitet. Gut möglich, dass sie uns auf unseren Entdeckungsreisen und Eroberungszügen den Weg gewiesen haben – so wie die dreibeinige Krähe, die der Legende nach, den ersten Kaiser von Japan ins Land geführt hat und dafür bis heute das Trikot der Fussball Nationalmannschaft ziert.

Aerni: Wenn also die Vögel überall zu sehen sind, sollte es ein Leichtes sein, sie zu filmen, oder?

Schilt: Leider nicht, denn das Herausfordernde beim Filmen von Krähen ist: Sie beobachten uns zwar seit Urzeiten, aber sie mögen es gar nicht, wenn man sie beobachtet. Journalistinnen und Journalisten schätzen es übrigens in der Regel auch nicht besonders, wenn man ihnen über die Schulter schaut.

Aerni: Während viele Tierarten durch den menschlichen Einfluss in die Ökologie aussterben, ergibt sich bei den intelligenten Rabenvögeln ein anderes Bild. Es scheint, dass diese Tiere von uns sogar profitieren. Dazu gibt es viele Erklärungen, wo sehen Sie die Gründe?

Schilt: Rabenvögel sind extrem anpassungsfähig und sie profitieren als Kulturfolger tatsächlich vielerorts von uns Menschen: Städte, Agglomerationen, zersiedelte Landschaften – Krähen finden hier Sicherheit, Nahrung und Nistplätze im Überfluss. Die intensive Landwirtschaft mit Monokulturen sorgt ebenfalls für ein schier unerschöpfliches Nahrungsangebot, genauso wie Food Waste auf dem Pausenplatz.

Aerni: Sie sind kulinarisch also unkompliziert, wenn man das so sagen darf?

Schilt: Sehr! Rabenvögel fressen fast alles. Auch Aas und Leichenfleisch. Das gab und gibt es auch in Kriegen oder nach Katastrophen stets zur Genüge. Der großzügigste Fleischlieferant für Krähen und Raben war schon immer der Mensch. Dem Image der Rabenvögel war und ist das natürlich nicht besonders förderlich.

Aerni: Der Film zeigt zudem, dass eigentlich die Krähen uns beobachten statt wir sie. Wie haben Sie dies bei den Dreharbeiten erlebt?

Schilt: Es ist extrem schwierig natürliches Krähenverhalten zu dokumentieren. Wenn wir Krähen filmen, filmen wir eigentlich fast immer Krähen, die eine Filmequipe beobachten. Es war unser erklärtes Ziel eine Krähenfamilie bei der Aufzucht aus wenigen Metern zu beobachten – ohne dass sich die Familie gestört oder beobachtet fühlt.  Für die Dreharbeiten musste sich unser Kameramann Attila Boa unsichtbar machen. Keine leichte Aufgabe, wenn es darum geht die aufmerksamsten Beobachter zu beobachten. Zum Glück gibt es auch bei Krähen einen Gewöhnungseffekt: nach zwei Jahren haben die Krähen die Kamera langsam ignoriert.

Aerni: Einen dystopischen Unterton Ihres Filmes, allerdings mit poetischer Erzählkraft macht nachdenklich, was die Zukunft der Menschheit angeht. Wie optimistisch sehen Sie auf das, was auf uns zukommt?

Schilt: Wir teilen mit den Rabenvögeln nicht nur unsere Geschichte, der Homo Sapiens hat mit seinen schwarzen Begleitern, eine ganze Menge gemeinsam: Raben und Krähen probieren genau wie wir Menschen alles Neue aus. Der Rabenforscher Bernd Heinrich bezeichnet das im Film als «Neophilie», also eine Vorliebe für neue Dinge. Andererseits kombinieren sie diese ausgeprägte Neugierde mit einer gehörigen Portion Vorsicht. Sie untersuchen alles Neue haargenau. Sie sind zudem neugierig, wissbegierig und sie verfügen zweifelslos über so etwas wie einen Verstand, genau wie wir Menschen. Die Grundvoraussetzungen, dass wir mit den Rabenvögeln unsere gemeinsame Geschichte weiterschreiben können, wären also nicht so schlecht. Es kommt nun halt darauf an, was wir aus unseren Möglichkeiten machen – das gilt für uns Menschen genauso wie für Krähen.

Aerni: Zum Schluss eine profane Frage aus dem Alltag: Die koloniebrütenden Saatkrähen machen mitten in Siedlungen und Städten Lärm und Dreck und lösen Debatten aus. Hätten Sie einen Tipp?

Schilt: In Zeiten der Energiemagellage ganz aktuell: Lichter aus! Saatkrähen und Rabenkrähen suchen vielerorts Schlaf- oder Brutplätze, die in der Nacht beleuchtet sind. Das schützt sie vor Ihren natürlichen Feinden den Uhus. Weniger Food Wast hilft sicher auch.

 

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Fakten zu Rabenvögeln

Rabenvögel sind Singvögel, sie gehören in die Ordnung der Sperlingsvögel und sind von diesen die grössten. Die Familie der Rabenvögel umfasst rund 123 Arten in 25 Gattungen. Dazu gehören auch sehr farbenprächtige Vögel, wie Häher und Elstern. Die Gattung Corvus umfasst 46 Arten mehrheitlich schwarzgefiederte Vögel, die wir gemeinhin als Krähen und Raben beschreiben darunter die Saatkrähe (corvus frugilegus), die Aaskrähe (corvus corone), die Rabenkrähe (corvus corone corone) und die Nebelkrähe (corvus corone cornix). Das Urbild der Rabenvögel schlechthin (so Grzimeks Tierleben von 1970, S.505) ist jedoch der Edel- bzw. der Kolkrabe (corvus corax). Von dieser Vogelart soll es laut dem Brutvogelatlas der Schweizerischen Vogelwarte in der Schweiz noch rund 2000 bis 3000 Brutpaare geben. Der älteste bislang bekannte Rabenvogel, ein Vertreter der ausgestorbenen Gattung Miocorax, lebte vor vielen Millionen Jahren im Gebiet des heutigen Frankreich. Zu Ehren dieser Krähe wird dort noch heute ein besonderer Wein hergestellt, der Corbeaux.

Martin Schilt

 

 

Martin Schilt wurde 1971 in Bern geboren und ist seit 1987 als Filmjournalist tätig. 1992 schloss er das Lehrpatent des Staatlichen Seminars Bern ab und nach dem Studium an der Schule für Gestaltung in Bern 1995 arbeitete er für Telebärn als VJ. Seit 1996 wirkte er bei diversen Dokumentarfilmen für «DOK» und «Reporter» mit, und war Programmentwickler und VJ-Coach beim Schweizer Fernsehen SRF. Heute ist er geschäftsführender Mitinhaber zusammen mit Belinda Salin der Firma Lucky Film GmbH in Zürich. Beim Dokumentarfilm «Dark Star» über H. R. Giger war Schilt Co-Produzent und beim vielbeachteten Film über singende Bergler zwischen Tradition und Showgeschäft «Die Wiesenberger» führte er zudem Regie.