von: H. S. Eglund
7. März 2021

Der erste Journalist der Zeitenwende

Vor 1.900 Jahren erschien der erste Reiseführer über die Lande der Teutonen. Sein Autor war Tacitus, er schrieb vom Hörensagen. Der erste Journalist nach Christi Geburt war auch der erste, der die seltsame Gemütsart der Germanen erklärte: Treue.

Historisierender Kitsch: das Hermannsdenkmal bei Detmold. © H.S. Eglund

Der römische Politiker Tacitus ist Lateinern bekannt als erster Autor unserer Geschichtsschreibung: In den Annalen, die er zwischen 115 bis 117 verfasste, zeichnete er die römische Politik vom Tode des Kaisers Augustus bis zum Selbstmord Neros nach.

Tacitus selbst, der um 55 in Rom geboren wurde und um 121 starb, hatte etliche römische Kaiser überlebt, darunter Vespasian, Titus und den blutigen Despoten Domitian.

Unter diesen machte er Karriere: als Redner, Politiker, Beamter und Autor. Kaiser Titus erhob ihn in den Senatorenstand. Kaiser Nerva machte ihn zum Konsul, unter Trajan wurde er Prokonsul für Asien, was damals in etwa dem heutigen Kleinasien entsprach. Etwa 121 starb er, vier Jahre nachdem Hadrian den Kaiserthron in Rom bestiegen hatte.

Die Geschichte der Schönen und Reichen

Tacitus schrieb Historia als Geschichte der Kaiser, der Schönen und Reichen. Einfache freie Bürger oder Sklaven kamen darin nicht vor. Auf diese Weise prägte er das Fach bis ins 19. Jahrhundert – bis soziale und ökonomische Triebkräfte in der Geschichtswissenschaft aufkamen.

Er war zugleich der erste Journalist. Denn er verband zwei wichtige Tugenden, auf die sich besonders namhafte Journalisten bis heute berufen: Er berichtete vom Hörensagen. Und er servierte seinen Lesern weniger Berichte, mehr Bewertungen. Er hob die Trennung von Meinung und Fakt auf, bevor sie sich in der jungen Branche der Schreiberlinge etablieren konnte.

117 erschien Germania

117 erschien sein Werk Germania. Man könnte das Pamphlet als erste Auslandsreportage, als ersten Reiseführer bezeichnen. Germania bezeichnete seinerzeit die Regionen östlich und nördlich des Limes: von den Galliern im Westen und Rätern im Süden an den Alpen, von Rhein und Donau begrenzt, im Norden das Weltmeer.

Gleich zu Beginn seines Traktats schrieb der Historienbarde: „Wer hätte Lust verspüren sollen, Asien oder Afrika oder Italien zu verlassen und Germanien aufzusuchen, dieses unwirtliche Land mit seinem rauhen Klima, trostlos zu bebauen und zu beschauen.“

Erst das Urteil, dann die Fakten

Ein weiteres klassisches Beispiel, wie man den Gegenstand der Darstellung von vorneherein verunglimpft: Er bezeichnete die Germanen als gefährlichste Feinde Roms. Damit war das Schema festgelegt, dass man heute in jeder Tageszeitung lesen oder auf jedem Fernsehkanal sehen kann: Erst kommt das Urteil, dann die entsprechende Begründung, faktisch getarnt.

Tacitus hat Germanien nie bereist, zumindest sind dafür keine Beweise überliefert. Der Limes am Rhein und südlich des Siedlungsgebiets der barbarischen Völker bis zur Donau bei Regensburg war für ihn eine Grenze zur Wildnis, „faktisch vollständig von Wald und schaurigen Sümpfen bedeckt“, wie uns der antike Autor wissen lässt.

Ein Trauma wie später Stalingrad

Seine Informationen bekam er wohl von römischen Soldaten und Kaufleuten, die sich in den unwegsamen Dschungel wagten, um mit Fellen, Bernstein und Silber zu handeln. Der ganze Report ist geprägt von Angst und Abscheu, vom Trauma der Varusschlacht, als die Germanen im neunten Jahr der Zeitrechnung drei römische Legionen samt deren Hilfstruppen vernichteten – auf eigenem Boden, im Teutoburger Wald im heutigen Ostwestfalen. Drei Legionen – das war ein Achtel des römischen Heeres.

Und so ergibt sich bei der Lektüre eine erstaunliche Parallele zur Berichterstattung unserer Tage beispielsweise über Russland, die auf ähnliche Weise vom Trauma der Schlacht bei Stalingrad geprägt ist.

Derselbe arrogante Ton

Da kehrt derselbe arrogante Ton wieder, um die Ängste und Minderwertigkeitsgefühle zu übertünchen, derselbe Hochmut der Verlierer: Der Römer als Träger der Hochkultur, der Germane als Barbar: „trotzige blaue Augen, rotblondes Haar und hoher Wuchs, bei Durst und Hitze werden sie weich, aber gegen Kälte und Hunger sind sie durch das Klima und die kargen Böden abgehärtet“.

Bei Detmold steht das Hermannsdenkmal, für Hermann – Armin – Arminius, den Fürsten der Etrusker im Kampf gegen die römischen Eindringlinge. Es zeigt den Germanen als römischen Feldherren, ein historisierendes Klischee, reiner Unsinn, aber politisch opportun – berief sich das Deutsche Reich doch ausdrücklich auf klassische Vorbilder. Die preußischen Könige – ab 1871 die deutschen Kaiser – sahen sich in Ahnenlinie mit Cäsar, Vespasian und Titus, als neue Blüte neoklassizistischer Hochkultur. (gekürzt)

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