von: Simone Klein
20. Oktober 2017

Den Ausklang des Lebens in Würde erleben

Von Simone Klein

© Piper Verlag

Die meisten Menschen wünschen sich ein friedliches Ende. Einige haben Angst, durch eine Unfall oder einen Terroranschlag plötzlich aus dem Leben gerissen zu werden. Weit verbreitet ist die Furcht, unter Schmerzen zu sterben.

Statistisch sind hierzulande nur wenige von Katastrophen betroffen. Unsere hochentwickelte Industriegesellschaft verfügt über ein Gesundheitssystem, das Menschen unabhängig von Status und Einkommen professionelle medizinische Versorgung garantiert. Wenn man jedoch genauer hinsieht, geht es dabei nicht nur um das Wohl der Patienten. Ärzte, Kliniken und Pharmaunternehmen haben ebenfalls Interessen.

Über den Profit mit Schwerstkranken berichtet der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns in seinem Buch „Patient ohne Verfügung – Das Geschäft mit dem Lebensende“. In Gesellschaften wie unserer entstehe etwa die Hälfte der medizinischen Kosten eines Menschen im letzten Lebensjahr. Da verwundere es nicht weiter, dass kostspielige Intensivtherapien unter dem Einsatz zahlreicher Apparate durchgeführt würden, die weder Lebensdauer noch -qualität der Patienten steigerten. Thöns spricht von einem sogenannten „Sterbeverlängerungskartell“, bei dem die Medizinindustrie das friedliche Sterben Todgeweihter ohne Patientenverfügung hinauszögere, um möglichst hohe Kosten abzuschöpfen. Dies geschehe nicht immer zum Wohle der Patienten.

Bestrahlungen, Chemotherapien, Dialysen und künstliche Ernährung würden für hochbetagte und schwerstkranke Menschen häufig zum Martyrium. Beispielsweise könne der Körper Krebskranker im Endstadium kaum mehr Nährstoffe verwerten. Über die Aussichtslosigkeit manch teurer Behandlung würde nicht jeder Patient aufgeklärt. Als besonders stark betroffen schildert Thöns Demenzkranke und Menschen im Wachkoma, die keine Patientenverfügung hinterlassen haben und sich nicht mehr artikulieren können. Ihre Reaktionen würden häufig falsch gedeutet und ihre Schmerzen nicht erkannt.

Das Wohlbefinden steigern und Kosten senken könne hingegen eine umfassende palliativmedizinische Komplexbehandlung, die möglichst schon mit der Diagnose einer lebensbegrenzenden Erkrankung beginne. Im Vergleich zur teuren Intensivmedizin koste sie nur einen Bruchteil und wirke sich, laut Thöns, zum Teil sogar lebensverlängernd aus. Er fordert, die finanziellen Fehlanreize für Chefärzte in Form von Bonuszahlungen und „exorbitanter Vergütungen“ bei großen Eingriffen an Schwerstkranken abzuschaffen. Stattdessen könnten Palliativteams für mehr Wohlbefinden sorgen. Die Patienten ermutigt er, Verordnungen und Behandlungen kritisch zu hinterfragen. Seinen für betroffene Patienten und Angehörige nicht ganz einfachen Botschaften nimmt er durch einen angenehmen Ton die Schwere.

Das Buch: Thöns, Matthias: Patient ohne Verfügung – Das Geschäft mit dem Lebensende. Piper, 2016.

Simone Klein lebt als Autorin in Baden-Baden