von: Urs Heinz Aerni
10. März 2020
© Pressebild © Franco Tettamanti
Urs Heinz Aerni: In Erinnerung an einen Auftritt von Ihnen in Leipzig, kommt mir die Formulierung in den Sinn, dass Sie den „Saal gerockt“ haben. Ein Kompliment oder eher…?
Michael Fehr: Doch, ein Kompliment. Es bedeutet jedenfalls, dass etwas geschehen ist, wonach es sich nicht einfach so einigermaßen befriedigt wieder davongehen ließ. Ich denke, dass heute gefährlicherweise zu viele befriedigende oder sogar total bedürfnisgerechte Anlässe durchgeführt werden. Ich halte es demgegenüber für umso wichtiger, sanft zu sein wie ein Lamm und auf die Pauke zu hauen wie der Teufel.
Aerni: Die Titel Ihrer Bücher heißen zum Beispiel „Glanz und Schatten“, „Kurz vor der Erlösung“ oder „Simeliberg“. Wie groß muss der Weltschmerz auf den berühmten Schultern drücken, bis wieder ein neues Projekt angegangen werden muss?
Fehr: Es kann vorkommen, dass Weltschmerz die Motivation für ein Werk ist. Meistens ist es aber das unerträgliche Unbehagen gegenüber allem Konservativen.
Aerni: Wie dürfen wir das verstehen?
Fehr: Ich möchte, dass die Dinge, die stillstehen oder erstarrt sind, in Bewegung geraten und die Dinge, die in Bewegung sind, in Bewegung bleiben. Denn nur Bewegung bringt uns weiter. Um jeden Preis sitzen bleiben und alles zusammenraffen, was man besitzt, bringt nur äußerst kurzlebigen Profit, aber keine echte Hilfe.
Aerni: Rhytmus ist ein wichtiger Teppich, auf dem Ihre Texte zum Tanzen kommen, so scheint es mir. Welche Gemütsart hilft am meisten, um weitermachen zu können oder zu wollen?
Fehr: Vertrauen.
Aerni: Sie treten zusammen mit dem Musiker Manuel Troller auf. Wie habt Ihr Euch gefunden?
Fehr: Wir wurden uns über längere Zeit gegenseitig empfohlen, und haben uns dann auch noch längere Zeit geziert, wonach ich dann doch einmal eine E-Mail geschrieben habe, um Kontakt aufzunehmen.
Aerni: Wie stellen Sie fest, dass ein Text, eine Performance nun stimmt und funktioniert?
Fehr: Ich möchte nicht mit definitiven Antworten bereitstehen, sondern zum Nachdenken anregend, inspirierend tätig sein. Wenn es mir also gelingt, eine größere Frage, intellektuell und emotional auf den Punkt zu bringen, anstatt beispielsweise Moral zu predigen, die ich nicht einmal selber im Stand bin einzuhalten, dann empfinde ich meine Arbeit im Sinne der Freude am progressiven Denken als sinnvoll.
Aerni: Was ermöglicht die Poesie für uns alle im Leben?
Bestenfalls das Erstrahlen von etwas in einem Licht, in dem man es ganz ehrlich noch nie gesehen hat.
Michael Fehr wurde 1982 in Bern geboren. Er studierte 2007 – 2012 am Schweizerischen Literaturinstitut Biel und am Institut der Hochschule der Künste Bern. Seine Buchpublikationen sind «Kurz vor der Erlösung» (2013), «Simeliberg» (2015) und «Glanz und Schatten» (2017). Er ist die Stimme auf dem Musikalbum «Bruxelles» von Simon Ho (2016). Auf dem Studioalbum «Im Schwarm» (2018) sind einige seiner Geschichten als Songs changierend zwischen Erzählung und Musik erschienen. https://www.michaelfehr.ch