von: H. S. Eglund
22. Mai 2021
William Brydon, einziger Überlebender der britischen Intervention in Afghanistan 1842. © Elizabeth Butler
Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“
Afghanistan! er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Commandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
Als Theodor Fontane diese Ballade im Jahr 1859 dichtete, stand das britische Weltreich beinahe im Zenit seiner Ausdehnung. Fontane machte das Debakel aus dem ersten anglo-afghanischen Krieg (1839-1842) zum Thema seiner Reime, von dunklem Heroismus durchdrungen. Exotische Bergvölker auf der einen Seite, heldenhafte englische Truppen auf der anderen:
Sie führen in‘s steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er athmet hoch auf und dankt und spricht:
„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Cabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verrathen sind.“
Fontane war nie in Afghanistan gewesen. Kein Wunder, galt es zu seiner Zeit doch als Rand der Erde. Zwischen Persien und Indien gelegen, bietet das Land nur im Süden fruchtbares, flaches Terrain. Im Norden und Osten liegt das unwegsame Gebirge des Hindukusch wie ein Sperrriegel. Daran war schon Alexander der Große gescheitert.
„Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“
Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all’,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.“
Mitte des 19. Jahrhundert war Afghanistan ein lockeres Königreich, dass die vielen verschiedenen Stämme unter paschtunischer Hoheit vereinte. Die Briten waren eingefallen, weil sie Angst vor den Russen hatten.
Denn nördlich des Hindukusch waren Zarenregimenter aufgetaucht, die möglichweise ein Auge auf das reiche Indien geworfen hatten. Schon Zar Peter der Große hatte es auf einen Hafen am Indischen Ozean abgesehen, weil Russlands Buchten in Nordeuropa und im Baltikum allesamt vom Eise bedroht sind.
Mitte des 19. Jahrhunderts erwies sich diese Furcht zwar als unbegründet. Dennoch rückten die Briten ein und überzogen das Land mit Krieg. Doch so einfach wie in Indien verlief diese militärische Expedition nicht. Zwar ist der flache Südteil des Landes mit Truppen relativ gut zu beherrschen. Die hohen, eisigen Pässe und die Berge jedoch, gehörten wilden Stämmen. Sie kannten das Terrain wie ihre Westentasche, nutzten geschickt seine Vorteile.
Und vor allem: Sie wussten, wie man den erbarmungslosen Winter im Hindukusch übersteht. Dann werden die Täler und Gipfel mit Schneemassen und Orkanen überzogen.
„Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So laßt sie’s hören, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimath und Haus,
Trompeter, blas’t in die Nacht hinaus!“
Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd’,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.
Der Hindukusch schwingt sich bis 7.700 Meter hoch, er zieht sich im Osten bis ins Grenzgebiet zwischen Pakistan und China. Faktisch bildet er den westlichen Ausläufer des Himalaya. Hindu-kusch steht für Hindu-Mörder, ein Begriff, den der Arzt Ibn Battuta auf seinen Wanderungen prägte. Battuta war ein Zeitgenosse von Marco Polo, ihm waren die vielen Hindu-Sklaven in der Region aufgefallen.
Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.
Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.
Die erste neuzeitliche Auseinandersetzung der Afghanen mit einer westlichen Großmacht endete im Fiasko: „Im Dezember 1841 begann sich die britische Garnison mit rund viertausend Soldaten, begleitet von nahezu dreimal so vielen Frauen, Kindern und afghanischen Bediensteten durch den Schnee und über die Bergpässe zurückzuziehen”, schrieb Winston Churchill achtzig Jahre später in seiner History of the English-Speaking Peoples. „Fast alle wurden ermordet oder versklavt. Nur ein einziger Überlebender erreichte Indien, am 13. Januar [1842].”
Im darauffolgenden Jahr wurde eine Strafexpedition geschickt, um die britische Ehre wiederherzustellen – durch brutale Massaker. Danach blieb Afghanistan – wie Indien und das spätere Pakistan – unter britischem Einfluss. Ausgenommen der Hindukusch, der wie eine uneinnehmbare Festung nördlich von Kabul thronte – und noch immer thront. (gekürzt)
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