von: Urs Heinz Aerni
5. September 2019
© Jeannine Hess von Urs Heinz Aerni
Urs Heinz Aerni: Sie schreiben nicht nur schön, Sie vermitteln auch das Handlettering. Waren Sie schon in der Schule eine Schönschreiberin?
Jeannine Hess: Seit ich mich erinnern kann, hatte ich immer schon Freude am Schreiben, am Gestalten von schönen Überschriften und an verschiedenen Stiften. Eine Freundin meiner Mama arbeitete lange Zeit in unserem Dorf in einer Papeterie und ich liebte die Besuche bei ihr. Das Interesse und die Faszination an der Handschrift begleitet mich schon lange und so kam es, dass ich meine Diplomarbeit im Lehrerseminar dem Thema Graphologie widmete. Rückblickend also tatsächlich ein Bereich, der nicht neu ist in meinem Leben.
Aerni: Die Computer sind ja voll von schönen Schriften und Grafikangeboten, warum empfehlen Sie, wieder mit der Hand zum Schreibstift zu greifen?
Hess: Die Bewegungsabläufe mit Stiften sind meines Erachtens schwungvoller, fliessender und haben für mich etwas Sinnliches. Dieses Erlebnis entsteht für mich beim Tippen auf der Tastatur nicht. Genau aus dem erwähnten „Flow“ entstehen immer wieder die erstaunlichsten Dinge und jeder Schriftzug ist und bleibt einzigartig. Copy paste funktioniert da nicht.
Aerni: Was empfehlen Sie Leuten, die sich dafür untalentiert halten?
Hess: Ich bin überzeugt, dass wir aufgrund unserer Schulerfahrung viele solcher Glaubenssätze abgespeichert haben… leider, …meines Erachtens braucht es die Offenheit sich auf etwas Neues einzulassen, die Freude am Ausprobieren und den Mut wieder einmal ein Anfänger zu sein. Mit dieser Kombination können selbst die vermeintlich Untalentierten Erfolgserlebnisse erleben und im Besten Fall negative Erfahrungen mit Neuen, Positiven überschreiben. Somit „just try it“!
Aerni: Wir bestaunen auch Ihre Schriftkunst auf Tafeln im Restaurant. Vergleichen Sie Ihr Können auch mit der Konkurrenz?
Hess: Wenn ich irgendwo eine Tafel wahrnehme, schaue ich schon sehr genau hin und mache mir ein Bild davon. Viel mehr sehe ich diese anderen Beispiele aber als Inspirationsquellen und nicht als Konkurrenz. Handlettering basiert auf der persönlichen Handschrift, ist somit sehr individuell und zusätzlich immer vom eigenen Stil gefärbt.
Aerni: Warum kann schönes Schreiben gut tun?
Hess: Für mich persönlich hat das Schreiben etwas Meditatives. Es hilft mir abzuschalten, meine Gedanken für einen Moment ruhig zu legen und in eine kreative Welt einzutauchen. Das Schreiben als solches hat eine sehr beruhigende Wirkung auf mich und wenn dabei sogar noch etwas Schönes entsteht, löst dies zusätzlich Glücksgefühle aus, die wir ja alle gerne ab und an entgegen nehmen.
Jaennine Hess
Wuchs bei Luzern auf und zu Hause, mit ihren Eltern und ihrer Schwester war die Kreativität schon immer, es wurde viel gebastelt oder „gwärchet“, wie sie es in ihrem Dialekt ausdrückt. Die ausgebildete Primarlehrerin unterrichtete viele Jahre, hauptsächlich auf der Unterstufe, in der Kreativität oft gefragt ist und täglich das Schreiben und die Schrift Themen waren. Hess ist fasziniert von der Entwicklung des Schreibens und der schriftlichen Gestaltung, und von dem, was alles in kurzer Zeit bei Kindern passieren kann. Neben der Arbeit ist sie selber gerne am Gestalten, Dekorieren, Schreiben und liebt es ihre Mitmenschen mit handgemachten Karten und schönen Worten zu überraschen. Handlettering-Workshops zu geben verbinde zwei Leidenschaften: Unterrichten und Schreiben.