von: Edition Converso, Bad Herrenalb
19. August 2021
© Edition Converso
Caltagirone, Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts. Die sizilianische Bevölkerung ist gebeutelt von Hungersnöten, Erdbeben und der harten Hand der Machthaber. Vor diesem Hintergrund verbindet Stark wie nur eine Frau die wahren Geschichten zweier sehr unterschiedlicher Frauen – da ist die junge, schöne, analphabetische Bäuerin Francisca, dort die gebildete und reiche Adlige Ignazia, beide sind sie auf ihre Weise Rebellinnen. Francisca in Wir schrieben das Jahr 1698 und in der Stadt trug sich Denkwürdiges zu sieht sich nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes gezwungen, um des nackten Überlebens willen – und um sich ihre moralische Integrität zu bewahren –, Männerkleidung anzulegen. Nur so kann sie auf dem Feld Seit an Seit mit den Tagelöhnern arbeiten. Sie wird denunziert und landet vor dem Inquisitor. Doch dieser trifft eine unkonventionelle Entscheidung …
Ignazia in Der Glanz des Nichts will sich, fast noch ein Kind, das Singen nicht verbieten lassen, was in der Öffentlichkeit den Kastraten vorbehalten ist; das Verbot bringt ihr widerständiges Wesen erst richtig zur Geltung. Fortan verweigert sie alle „weiblichen“ Betätigungen, widmet sich ganz der asketischen Pflege ihres Geistes. Eine Existenzphilosophin, die sich lieber selbst zugrunde richtet, als sich zu beugen. In all ihrer Lebensabsage versprüht ihr Geist eine betörende, süchtigmachende Schönheit, welcher der deutsche Graf Trahun hoffnungslos verfällt.
Mit den Mitteln einer Poetin rettet Maria Attanasio diese Frauenfiguren vor dem Schweigen einer männlich geprägten „großen“ Geschichtsschreibung: Sie selbst spricht von der verschwiegenen „Genealogie der Mütter“, der sie mit ihrem lyrisch geprägten Schreiben eine Form, eine Stimme gibt. Ihre Spurensuche zeigt uns, dass es sie also gab, die Frauen, die ihrem eigenen Kompass folgten, die ihr eigenes Leben und nicht nur das der anderen leben wollten. Franciscas und Ignazias Denken und Handeln sind auch aus heutiger Sicht von frappierender Radikalität und Konsequenz: Unter Gefahr fürs eigene Leben stellten sie die als natürlich gegebenen Konventionen der Gesellschaft in Frage, im Kampf um eine Identität als Frau, die sie neu konzipierten, soweit es ihnen möglich war, jenseits der teils unmenschlichen Rollenzwänge. Sie kämpfen darum, sie selbst sein zu können, mit freier Wahl. Daher bleibt etwa Francisca „innen Frau, und außen Mann“.
Und neben den beiden Frauen gibt es in diesem Buch noch weitere denkwürdige Figuren, wie etwa den Inquisitor, auf den Francisca trifft. Um die Ungewöhnlichkeit seines Verhaltens einzuordnen, muss man sich die grausame Herrschaft der Spanischen Inquisition in Sizilien vor Augen führen, und das „Dickicht aus kirchlichen, weltlichen und feudalen Gerichten“, dem die Bevölkerung nur schwer entkommen konnte. Für die Frauen galt dies damals ganz besonders, sie sollten schlichtweg mundtot gemacht werden. Ungewöhnlich daher auch die Arbeit von damaligen Chronisten wie Francesco Polizzi, welche die hier aufgegriffenen Schicksale dokumentiert haben und in deren Tradition sich Maria Attanasio mit ihrem Schreiben einreiht.
Monika Lustig stellt in ihrem Nachwort die immer brennende Frage nach den Fragment bleibenden oder gänzlich falschen Bildern dieses sehr weiblichen Kosmos Sizilien, das allein im Namen Sicania, Siculia, Trinakie, Triquera, Vitulia immer schon weiblich war. Erfrischend und entkrampfend wirken die erstmals ins Deutsche übertragenen Bemühungen eines aufklärerischen Kämpfers für die Sache der Frauen, Vincenzo di Blasi: Aus seiner Feder stammt die 1737 in Catania veröffentliche Philosophisch-historische Apologie, in der bewiesen ist, dass das Geschlecht der Frauen dem der Männer überlegen ist:
Da Eva von einem so herrlichen Ort [Eden ] herstammt, verkörpert sie ein beinah göttliches Wesen, das immer den Himmel schaut, in dem sein Original zu Hause ist. Deshalb – wenn sie einmal stürzt oder fällt, dann immer auf den Rücken (sic!), hingegen wird der Mann, in die Höhe steigend, von starkem Schwindelgefühl gepackt. Daher kann auch nur eine Frau auf der Spitze einer akrobatischen Menschenpyramide Platz halten – der Mann wäre dazu nicht in der Lage, da er doch so sehr in der Tiefe seinen Ursprung hat, würde er sich dort in der Höhe völlig außerhalb seines Zentrums befinden. Und schließlich – noch ein schlagender Beweis – wenn ein Mann und eine Frau ertrinken, bleibt die Frau längere Zeit über Wasser, als wolle, als könne sie einfach nicht aufhören, den Himmel zu schauen, während der Mann rasch untergeht!
Ganz aktuell, bohrend modern ist die 2020 entstandene Kammeroper Francisca (Musik Cosimo Colazzo, Libretto Giuliana Adamo), der just unser „denkwürdiges Begebnis“ als Inspiration dient. (Uraufführung in Trento)
Mehr zu den Übersetzerinnen → Judith Krieg und → Monika Lustig