von: Simone Klein
4. Oktober 2016

Buchtipp: „Friesenschuld“

Simone Klein las den Roman von Edna Schuchardt und teilt uns als Gastautorin mit, wie es war.

© Buchcover

Ein Haus in Strandnähe von der Großtante erben und sich dort dem Schreiben eines historischen Romans widmen. Eigentlich könnte Isa Lehrmann ein beschauliches Leben an der Waterkant führen und die gescheiterte Beziehung zu Robert in Ruhe verdauen. Das ostfriesische Dorf Hachensiel scheint dazu wie gemacht, denn ein Risiko, dass sie sich mit dem erstbesten Mann tröstet, besteht nicht. Es gibt dort faktisch keine Männer. Und die Begegnung mit einem sympathischen Einheimischen aus dem Nachbarort wird zum Desaster, da dessen Vater die Bekanntschaft mittels massiver Pöbeleien unterbindet. Die Herren der Region benehmen sich äußerst seltsam und in der kleinen Ansiedlung am Meer leben ausschließlich Frauen.

Diese Umstände wirken auf Isa rätselhaft, mindestens ebenso rätselhaft, wie die mystischen Erscheinungen im Nebel. Da es der Protagonistin immer unheimlicher wird, beginnt sie, in Archiven von Gemeinde und Kreis über den Landstrich zu recherchieren. Dabei trifft sie auf einige Ungereimtheiten. Sowohl die Eheschließungen und als auch die Einträge um die unbeliebte Gutsfamilie Steiner nehmen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ab.

Bei ihren Arbeiten trifft Isa auf Jonathan, einen jungen Wissenschaftler, der den vermeintlichen Selbstmord seines Vaters aufzuklären versucht. Doch die Aktivitäten der beiden bleiben nicht unbemerkt. Ohne die Ursachen zu kennen, geraten beide in große Gefahr. Es wird klar, dass hinter dem Fehlen der Akten ein System steht, dessen Ausmaß die Grenzen der Vorstellungskraft übersteigt.

Von Anfang an zeichnet die Autorin Edna Schuchardt ein düsteres Bild der eigentlich freundlich anmutenden Umgebung und lässt die ostfriesische Nordseeküste beinahe schon gespenstisch erscheinen. Die übersinnlichen Wahrnehmungen der Protagonistin verstärken sich im Laufe der Handlung und die Katze, ursprünglich in der Rolle einer verständnisvollen Seelengefährtin, wird immer mehr vermenschlicht. Sie warnt ihre Herrin vor einer konkreten Gefahr, die schließlich eintreten soll. Und erneut verkünden Tiere, diesmal in Form von Möwen, ein lebensbedrohliches Unheil. Isa und Jonathan sollen verschwinden, denn sie werden als Bedrohung wahrgenommen. Doch von wem und warum? Zum Ende der Handlung hebt sich der Nebelschleier und aus verschwommenen Bildern formen sich konkrete Ereignisse einer dunklen Vergangenheit.

Mit äußerster Präzision und historischem Scharfsinn hat die Autorin die Geschichte und Kultur einer norddeutschen Region durchforstet, wobei die Handlung selbst an jedem von Schreckensherrschaften geprägten Ort spielen könnte. Doch wirkt es, als kenne sie von Umgebung jeden Stein. Trotz oder gerade wegen dieser schriftstellerischen Bodenständigkeit zieht Schuchardt ihre Leser von Anfang an in den Bann der Handlung und begeistert scheinbar mühelos und selbstverständlich bis zur letzten Seite. Verbunden mit einer gelungenen Mixtur aus Mythos, Sage und klassischem Thriller zaubert sie einen mystisch-historisch angehauchten Regionalkrimi, der an Anspruch seinesgleichen sucht.

Das Buch: Schuchardt, Edna: Friesenschuld. Ostfrieslandkrimi. 1. Auflage. Bremen: Klarant Verlag, 2016: ISBN: 978-3-95573-383-4. Auch als E-Book erhältlich.

Simone Klein lebt als Autorin in Baden-Baden und schreibt für Berglink in losen Abständen von ihren Leseerlebnissen.