von: Daniela Jäggi
9. Januar 2016

Ausnahmezustand an Silvester

Gastautorin und Bloggerin Daniela Jäggi hat schon am 1. Januar über ihre Eindrücke in der Sylvesternacht in Hamburg berichtet. Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir hier ihren Text.

© pd - Daniela Jäggi

Müde, voller Eindrücke und extrem nachdenklich sitze ich für einmal am Laptop. Mir ist auch überhaupt nicht nach einem lustigen Artikel zumute. Da bin ich meiner Lieblingsstadt Hamburg, zusammen mit meinen Lieben, und bin trotzdem ziemlich kaputt. Warum? Weil ich in der Silvesternacht dachte, wir hätten uns in ein Kriegsgebiet verirrt! Und dabei waren wir am Jungfernstieg – am Alsterbecken – auf der Gasse, wo die Weihnachtsmarktbetreiber ihre Zelte auch in der Silvesternacht noch betrieben und wo DJ’s Musik auflegten. Klingt prima … war es zum Schluss aber nicht mehr!

Das offizielle Silvester-Party-Gebiet war mit Gittern abgesperrt und von der Strasse getrennt – zum Schutz der Menschen. Wenn man aus der U-Bahn kam, prüften Security-Leute die Taschen und alles, was auch nur annähernd die Optik aus dem arabischen Raum hatte, wurde unter die Lupe genommen. Irgendwie verständlich, nach dem Attentat in Paris und allem, was im 2015 geschehen ist.

Innerhalb des Gitterbereichs war es strikte untersagt, Feuerwerke zu zünden. Ausserhalb des Gitters (auf der abgesperrten Strasse) wurde aber geballert, was das Zeug hält. Und auch ein Gitter vermag bekanntlich Querschläger nicht von den Menschen fernzuhalten. Ein dicker Rauchmantel legte sich über den Jungfernstieg. Und ich muss zugeben, dass ich noch nie in derart viele Gesichter geschaut habe, welche jenen aus dem Fernsehen (Flüchtlingen) doch sehr ähnlich sahen. Und ich hatte das Gefühl, nicht sehr viel Deutsch gehört zu haben. Eher so Laute wie “Hammam-Allhammam-Chrammhamm” waren dauernd um uns herum. Und NEIN: Ich bin keine Rassisstin, aber es war unheimlich.

Je später der Abend wurde, umso dichter wurde das Gedränge und die DJ’s mussten mehr als einmal drohen, die Musik auszumachen, wenn noch einmal ein Böller innerhalb der Menschenmenge abgefeuert würde. Irgendwie eine ziemliche Farce, denn ich hatte das Gefühl, dass dort so ziemlich jeder gemacht hat, was er wollte.

Um Mitternacht stieg dann das offizielle Feuerwerk auf der Binnenalster und … es war dabei kaum von dem Geknalle und den “wilden” Feuerwerken rundherum zu unterscheiden. Ich fühlte mich wie im Krieg. Und ich war heilfroh, als wir nach dem Feuerwerk beschlossen, so schnell wie möglich zur U-Bahn und nach Hause zu kommen. Dumm nur, dass die gefühlt anderen 10.000 Menschen dasselbe auch wollten … und zwar aus einem Nadelöhr, welches die Security künstlich mit Gittern hergestellt hatte. Und noch viel dümmer, dass der Druck der Menschen derart gross wurde, dass die Security mit ihren Gittern diesem Druck auch nichts mehr entgegnen konnten. Zu Beginn wurden wir noch gemeinsam einfach in eine Richtung geschoben – irgendwann wurde der Druck so gross, dass wir einander verloren und nur mein Sohnemann und ich uns noch gegenseitig an den Jackenärmeln hielten und hofften, heil rauszukommen. Dabei wurden sogar Kinder aus der Menschenmenge gezogen, welche sonst vermutlich totgetreten worden wären. Mich ergriff die totale Panik, denn alle um mich herum schrien irgendwelche komischen Sprachen – an meinem Körper waren unzählige Hände, die sich festzuhalten versuchten und ich war plötzlich eingeklemmt zwischen einem losen Gitter und der Menschenmenge. Mein Bein verkeilte sich zwischen Gitterstäben und ich wusste, wenn ich jetzt hinfallen würde, wäre es geschehen… Ich zerrte, riss und drückte mit aller Kraft und kämpfte verzweifelt, um bloss nicht in der Menschenmenge unterzugehen. Dabei wurde die Luftnot irgendwie immer grösser, denn der Druck der Menschen drückt auf alle Körperteile. Ein schreckliches Gefühl!

Und als ich es “geschafft” hatte und inmitten von abgeranntem Feuerwerk, Geknalle und kreischenden Menschen auf der Strasse stand, fing ich an zu zittern und ein Heulkrampf schüttelte mich durch. Mein Sohnemann war der erste, an welchem ich mich festhalten konnte und der kurz nach mir aus der Menge rauskam. Die anderen der Familie waren vor uns rausgekommen und wir hatten keinen Plan, wo sie waren. Wie gut, dass es Handys gibt. Ich wurde auf dem Nachhauseweg von x Heulkrämpfen geschüttelt und war danach wie erschlagen. Und ich habe Mühe, diese Bilder in meinem Kopf zu sortieren. Tausend Fragen schwirren rum:
Warum macht man Gitterabsperrungen nicht auf, wenn Menschenmengen dagegendrücken um nach draussen zu gelangen?
Warum riskiert man, dass Leute totgetrampelt werden, wenn man einfach nur die Absperrung aufmachen könnte?
Warum finden Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, dieses Geknalle schön?
Wie kommt es, dass man Kleinkinder und Babys in Kinderwagen diesem Zustand aussetzt und deren Sicherheit riskiert?
Wie kann ein solcher Anlass (der jährlich stattfindet) derart schlecht unter Kontrolle gehalten sein?
Warum hatte auch ich auf einmal das Gefühl, in jedem fremden Gesicht einen vermeintlichen Feind oder gar Attentäter zu sehen?


Fragen über Fragen und die Gewissheit, dass ich mich nie wieder zu Silvester an so einen Ort wagen werde. Und genauso die Gewissheit, dass die Geschehnisse von 2015 viel in meinem und im Kopf vieler anderer Menschen verändert haben. Die Angst schwingt irgendwie immer mit und – wird auf einmal zur Panik. So hatte ich mir die Silvesternacht definitiv nicht vorgestellt. Mit zugeschwollenen Augen, verheult, panisch, kaputt und jetzt mit Muskelkater und Kopfschmerzen … obwohl ich keinen Tropfen Alkohol hatte. Da bleibe ich das nächste mal lieber daheim und kuschle mich im Pyjama vor der Glotze gemütlich mit Göga und Tieren ein!

Daniela Jäggi am 1. Januar auf ihrem Blog Modepraline

Lesen Sie hier das Interview mit Daniela Jäggi