von: Fabian Knierim Kerber Verlag
21. Mai 2016

Aurora Cordial

Die Morgenröte, deren Göttin Aurora der römischen Sage nach ist, hat sich schon immer nur aus der Ferne beobachten lassen. Ihr Platz ist hinter dem Horizont, sie birgt ein Versprechen auf etwas, das noch nicht ist, und wer versucht, sie zu erreichen, dem geht es wie dem Suchenden nach dem Ende des Regenbogens. Ein Gastbeitrag von Fabian Knierim (Kerber Verlag Bielefeld)

© Kerber Verlag

Wer aber ist Aurora Cordial? Das Mädchen im Spiegel, die Frau im Talar mit dem zuversichtlichen Lächeln? Oder doch ein Ort jenseits des Meeres, dort, wo die Sonne aufgeht, wie uns am Ende des Buchs das verbleichende Bild an einer Hauswand versichert?

Aurora Cordial ist das Tagebuch einer Reise zu den Philippinen, in dem der Autor Eindrücke, Begegnungen, Fundstücke und Gedanken gesammelt hat. Neben dem Reisebericht kristallisiert sich aus den fotograf- ischen Notizen eine zweite Erzählung, die Biografie einer über den Erdball verstreuten Familie, Cordial mit Namen, eine Liebesgeschichte zwischen den Kontinenten, deren Fäden in einer Provinz im Nordosten des Inselstaats zusammenlaufen. Rund zehn Millionen philippinische Bürgerinnen und Bürger leben in Übersee. So individuell die Familiengeschichte auch ist, so exemplarisch steht sie für hunderte andere Biografien.

Ihr Gemeinsames finden die beiden Erzählungen in der Sehnsucht – nach der Ferne, der Heimat, den Liebsten, dem besseren Leben – ein Zustand des Schwebens, bei dem man das Hier und Jetzt schon verlassen hat, aber im Dort nicht ankommen kann und in dem Projektionen eine mindestens ebenso große Rolle spielen wie die Realität.

Bilder, Fotografien im Besonderen, sind dabei die hervorragendsten Agenten der Sehnsucht: so sehr sie uns das Entfernte nahe bringen, so sehr bestätigen sie gleichzeitig seine Unverfügbarkeit. Auch in Fanturs Aufnahmen kann man sich des Präsenten nie sicher sein. Sind die Palmwipfel, die sich in einer Regenpfütze spiegeln, wirklich realer als die tropische Fan- tasie einer alten Reisepostkarte oder die blühenden Versprechen einer Briefmarke? Was man in einem Augenblick erfasst, droht sich uns im nächsten schon wieder zu entziehen. Immer wieder kehren uns die Menschen, denen wir im Buch begegnen, den Rück- en zu oder verschwinden wie der Muschelsammler am Strand in der Ferne. Die junge Frau in der weißen Bluse, die auf dem Wasser zu schweben scheint, war noch einen Moment zuvor gar nicht da. Einige Dop- pelseiten weiter liegt sie auf einem Bett, die Augen erst geöffnet, dann geschlossen, zwischen Wachen und Träumen.

Fantur beschreibt in Aurora Cordial eine Verfasstheit, in der sich Wunsch und Wirklichkeit, Idee und Realität permanent überlagern. Was die Sehnsucht am Ende trotz aller Zweifel am Leben hält, ist der Glaube, dass es den ersehnten Ort am anderen Ende des Ozeans tatsächlich gibt – und wenn auch nur in der eigenen Vorstellung.

Dieser Link vermittelt Blicke ins Buch…

Angaben zum Buch: Herausgeber Clemens Fantur
Texte von Fabian Knierim, Danton Remoto
Gestaltung von Sven Lindhorst-Emme
ISBN 978-3-7356-0236-721 x 26 cm, 104 Seiten, 71 farbige, 1 s/w Abbildungen, Hardcover, 3-seitig beschnitten, gebunden mit eingeklebtem Rückenschild Sprache: Englisch