von: Isolde Schmid-Wermser
1. März 2016

Akropolis

Ein Gastbeitrag von Isolde Schmid-Wermser

© Foto: uha berglink.de

Es war einmal eine junge Frau. Wohl war sie sehr schön, engelsgleiche Gesichtszüge, helle, blaue Augen, lange, blonde Haare, aber auch überheblich, boshaft, misslaunig, neidisch, gefühllos und eitel, gerne betrachtete sie sich im Spiegel, oft mit Wehmut, sich der Vergänglichkeit ihrer Schönheit bewusst…

Von ihren Mitmenschen wurde sie gemieden, doch sie merkte es nicht.

Den Männern jedoch gefiel sie sehr, sie hatte viele Verehrer, aber vergebens hielten diese um ihre Hand an, denn keiner von ihnen war ihr gut genug.

Eines Tages besuchte sie ein Antikenmuseum. Versunken in den Anblick der zeitlosen Schönheit der Statuen vergass sie sich selbst!

In der Nacht sah sie eine Sternschnuppe, sie durfte sich etwas wünschen:

„Ich möchte eine Statue im Museum werden, dann bleibe ich ewig schön und werde immer bewundert.“ „Bist du dir ganz sicher?“ „Ja!“

Ihr Wunsch ging in Erfüllung.

Als Statue dachte sie viel über ihr bisheriges Leben nach. Sie erkannte ihren schlechten Charakter, und wurde gewahr, wie sie ihren Mitmenschen mit Hochmut und Ablehnung, ohne Anteilnahme, begegnet war, und wie einsam sie gelebt hatte. Sie empfand tiefe Reue und spürte, wie sie sich allmählich zu einem Wesen voll Güte, Mitgefühl und Liebe zu den Menschen entwickelte.

Als Statue hatte sie ja alle Zeit der Welt für diesen Wandel…

Eines Tages suchte ein gut aussehender, junger Mann, blaue Augen, gross gewachsen, schwarzes, dichtes Haar, das Museum auf.

Bereits beim ersten Besuch gefiel ihm die verzauberte Statue von allen am besten, er fand sich in der Folge immer öfter ein, um sie strahlend anzusehen.

Er bemerkte eines Tages, dass ihre Gesichtszüge sich leicht veränderten. Waren sie anfangs kalt und abweisend gewesen, so wurden sie nun zunehmend gelöst, heiter, sanft und beseelt.

Er verliebte sich in sie!

Sie hatte ihn ebenfalls mit Wohlgefallen wahrgenommen und wartete mit zunehmender Freude und  Ungeduld auf seine Besuche, diese Empfindungen waren neu und ungewohnt für sie, war das Liebe?

Hatten auch seine Gefühle und Aufmerksamkeit für sie ihren inneren Wandel bewirkt?

Eines Nachts sah er ebenfalls eine Sternschnuppe und auch er hatte einen Wunsch frei:

„Ich möchte diese Statue zur Frau.“ „Frage sie!“

Am nächsten Tag ging er zu ihr und sagte: „ Ich besuchte dich viele Male, dein  Gesicht hat sich gewandelt, es hat immer mehr an Weichheit, Liebreiz und Lebendigkeit gewonnen, auch wenn ich es nicht verstehen kann. Ich liebe dich, werde meine Frau!“

„Ja! und wisse, früher war mir Schönheit das Höchste, nun ist es die Liebe!“

Als sie endlich allein im Saal waren, stieg sie vom Sockel herab und sie spazierten Hand in Hand in ein gemeinsames Leben.

 

 

Isolde Schmid-Wermser lebt in Basel und veröffentlichte das Buch „Ein Murmeltier im Turm“ Eidtion Howeg