von: Urs Heinz Aerni
11. April 2020

Abschied vom ZEITPUNKT

In Erinnerung an die guten Zeiten mit dem Magazin und mit Dank für die Jahre des Austausches und der Zusammenarbeit, wird in diesen Zeilen mitgeteilt, warum es so nicht mehr weitergehen kann. Eine Kritik des Journalisten und Kulturvermittlers, Urs Heinz Aerni, über die Entwicklung im Verlag Zeitpunkt in Solothurn.

© Zeitpunkt - Ausgabe WAS BLEIBT? Sehr gute Frage.

 

Lieber Christoph Pfluger

Es sind gute Erinnerungen, an die Zeit des Magazins «Zeitpunkt» mit der Vielzahl an journalistischen Stimmen für eine kritische und zugleich konstruktive Haltung, entlang des Medienmainstreams. Die gesellschaftlichen und philosophischen Ansätze der erfrischenden Art, motivierten zum Weiterdenken und zu Gesprächen. Die Veranstaltungen mit Podien und Begegnungen zwischen der Herausgeber- und Leserschaft könnten aus der heutigen Sicht als legendär bezeichnet werden. Es war ein Magazin mit einem Wir-Gefühl, das Lust machte, weiter mit offenen Augen und neuen Ideen seinen Beitrag für die Allgemeinheit geben zu wollen.

Vom Wir zum Ich

Dieser Spirit ist in der neuen Form des Zeitpunkts auf allen Kanälen, digital wie gedruckt, nicht mehr zu spüren oder vielleicht noch als Spurenelement wahrnehmbar. Dein Buch, Christoph, nach dem sehr lesenswerten Bestseller «Die Zukunft des Geldes», «Die Strategie der friedlichen Umwälzung» ließ Hoffnungen auf ein weiteres Kapitel auf der Reise der gedanklichen Innovation keimen. Im Zuge der Debatte um die Einführung von 5G und der Ausbruch der globalen Corona-Krise mutierte sich „Wir von Zeitpunkt“ zum „Ich der Zeitpunkt“. Aus allen Kanonen begannst Du zu «ballern», gegen G5 und die Maßnahmen der Behörden in der Sache Covid-19. Richtig ist, neue Technologien, politisches Management und wissenschaftliche Trends aus allen Seiten kritisch zu hinterfragen. Aufklärung und Mutzuspruch zum eigenen Denken und zur Eigenverantwortung wäre eine edle Aufgabe von Qualitätsmedien. Leider hat sich der Zeitpunkt, der praktisch nur noch aus Dir, Christoph, zu bestehen scheint, sich in Kämpfen verbissen. Mit im Boot Meinungsmacher aller Couleur, auch solche, deren Qualifikation zu wenig hinterfragt wurden.

Peinlicher Satireversuch statt Aufklärung

Es darf gegen den Weltgeist angegangen werden, ja es muss der Finger auf Wunden oder Narben gelegt werden. Aber, lieber Christoph, nicht mit einem Dauerbombardement der die Abonnentinnen und Abonnenten des Newsletters via Mail und Facebook überdrüssig werden lässt. Der peinliche Satireversuch als Video zum Bashing des Schweizer Gesundheitsministers, brachte das Geduldsfass zum Überlaufen.

Wo ist der bekannte Christoph Pfluger geblieben, der einstand für profunden, intelligenten und konstruktiven Journalismus, dem er sich damals verschrieb? Wo bleiben andere intelligente Geister mit spitzer Feder im Medium Zeitpunkt. Mutierte sich der Herausgeber zum Selbstdarsteller, der in einer One-Man-Show es der Welt zeigen will? Der «Welt» sei mit Anführungs- und Schlusszeichen versehen, denn durch die Berset-Persiflage können wohl Leserinnen und Leser in Kiel oder in Klagenfurt nicht viel anfangen.

Dauerkritik statt neue Werte

Ein Virus lässt den Wachstumswahn der Welt lahmlegen. Das Finanz-System der Maximalrendite gerät in Schieflage. Politische Strukturen und Machtverhältnisse erodieren. Die Ökosysteme erhalten eine Verschnaufpause. Die Konsumgesellschaft sieht sich neuen Fragen dem Leben gegenüber.

Und was macht das Haus «Zeitpunkt» daraus? Den Rückenwind für eine «friedliche Umwälzung» nutzen? Alternative Lebensmodelle mitgestalten? Unser Verhältnis zur Umwelt neu definieren? Werte verschieben zu lassen? Neue Chancen, die durch die Krise offenbar werden, zu thematisieren? Nein. Stattdessen schießt sich fast ausschließlich die ganze intellektuelle Munition auf das Krisenmanagement der Behörden in der Corona-Causa ein, dies nun noch täglich mit Satire-Videos gegen einen Gesundheitsminister, genauso wie die «Weltwoche» unter der Fuchtel eines ebenfalls sich selbstdarstellenden Herausgebers.

Das ist nicht mehr der Zeitpunkt mit weitem Horizont und Überblick der Lage. Vorbei die Zeiten des gelassenen und pointierten Versuchs, mehr verstehen und die Lesenden in ihren Alltags-Entscheidungen unterstützen zu wollen.

Lieber Christoph, diese Abschiedszeilen als Leser und Mitstreiter im Hintergrund, wird wohl sicher nichts bis wenig bewirken, solange eine große Anzahl an User auf Facebook applaudiert. Eine sich bildende Mehrheit innerhalb unserer Gesellschaft, die vielleicht mal eine dergestalt kritische Größe annehmen könnte, in der eine Betriebsblindheit zu einer Selbstverständlichkeit zu werden droht. Ein Zustand, die Du in früheren Zeiten von anderen Mehrheiten schon gekannt, und kritisiert hast.

Alles Gute und bleibe gesund!

Mit lieben Grüßen an die Werkhofstraße in Solothurn in Wertschätzung und mit Dank für die Zusammenarbeit und die erhaltene Möglichkeit, da und dort ein Text platzieren zu dürfen.

Urs

Urs Heinz Aerni

Freier Journalist, Kulturvermittler und Vogelbeobachter in Zürich

www.ursheinzaerni.com